8. Mai 1946: Atemlose Sille lastete über dem Saal 600 im Nürnberger
Justitzpalast. Der Angeklagte trat straff ans Mikrofon, erklärte: "Ich
habe nach meinem Gewissen gehandelt. Ich müßte das genauso wieder tun."
Für die Ankläger stand fest, was der letzte Präsident des "Dritten Reiches",
der Großadmiral Karl Dönitz war: ein Kriegsverbrecher - ein Mann, der mit
"seinen" U-Booten einen unerbitterlichen Kriegskurs steuerte,
dem 30 000 alliierte Seeleute zum Opfer fielen. Und ein Mann,
der bis zutetzt Hitler "unverbrüchliche" Treue hielt.
Am 1.Mai 1945 erfuhr der Großadmiral vom Tod Hitlers und
trat offizell das Amt an, das ihn in Nürnberg ins Rampenlicht rückte:
Er wurde Hitlers Nachfolger - Nachlaßverwalter des zerstörten
"1000 jährigen Reiches".
Der Marineoffizier des 1. Weltkrieges, verheiratet, drei Kinder,
machte unter Hitler große Karriere.
Hitler ernannte ihn zum "Führer der U-Boote" (FdU) - mit der Order,
aus dem Stand heraus die U-Boot-Waffe neu aufzubauen. Entschlossen ging
Dönitz an die Aufgabe.
Bis Ende 1941 versenkten unter seiner Führung deutsche U-Boote fast
4,5 Millionen Tonnen gegnerischen Schiffsraum. Mehr als 10 000
britische Seeleute kamen dabei ums Leben.
1943 war die Zeit der strahlenden Siege vorbei. Immer seltener
meldeten Dönitz' U-Boote Erfolge.
Hitler, der inzwischen kaum noch einem General traute, band
den Admiral noch enger an sich und ernannte ihn am 30.Januar
1943 zum Oberbefehlshaber der Marine als Nachfolger von
Großadmiral Raeder. Nun gehörte Dönitz zum engsten Kreis um Hitler.
Bis zuletzt sollte er nicht mehr von der Seite seines "Führers"
weichen.
Durch gewaltige Betonmauern geschützt, trieb Dönitz aus seinem
Hauptquartier "Koralle" bei Berlin seine schutzlosen U-Boote in die
Schlacht, die längst verloren war. Im Mai 1943 verlor Dönitz 41 Boote.
2000 U-Boot-Manner starben, darunter Dönitz' Sohn Peter.
Doch auch diese Katastrophe konnte seinen Glauben an das Genie des
"Führers" nicht erschüttern. Zweifel wischte er beiseite,
nach außen markierte er den harten Mann. Was in ihm vorging, ließ
er sich nur selten anmerken.
Als er am Abend des 4.Mai 1944 vom Tod seines zweiten Sohnes Klaus
erfuhr, setzte er sich ans Bett seiner Tochter Ursula: "Wir haben
stumm Hand in Hand dagesessen".
Während sich Stalins Truppen der Reichskanzlei näherten, schickte
Hitler Dönitz in den Norden des zerfallenen Reiches, nach Plön in
Holstein. Am 30. April 1945 erreichte Dönitz um 19.30 Uhr das wohl
wichtigste Telegramm seiner Karriere.
Absender: Reichskanzlei Berlin. Inhalt: Anstelle des bisherigen
Reichsmarschalls Göring setzt der Führer Sie, Herr Großadmiral, als
seinen Nachfolger als Reichspräsident ein.
Ergeben ließ Dönitz zurückkabeln: "Mein Führer, meine Treue
zu Ihnen wird unabdingbar sein.
Ich werde alles versuchen, Sie in Berlin zu befreien."
Dönitz löste sein Versprechen ein und hetzte junge Marinesoldaten in die eingekesselte Hauptstadt zur Befreiung Hitlers. Fast alle bezahlten den Wahnsinn mit dem Leben.
Der 1. Mai brachte Dönitz die Gewißheit: Hitler war tot. Gewissenhaft machte sich Dönitz an die Abwicklung des "1000-jährigen Reiches", das in Trümmern lag.
Dönitz wollte im Osten weiterkämpfen, um möglichst viele Deutsche
vor der russischen Gefangenschaft zu retten. Mehr als tausend
Schiffe, vom Fischkutter bis zum Ozeanriesen, sollten die Flüchtlinge über die Ostsee evakuieren, "vor dem bolschewistischen Feind retten".
Ungerührt von dem, was draußen vorging, "spielte" Dönitz Regieren. Täglich, pünktlich um 10 Uhr, eröffnete er die Kabinettssitzungen, bei denen regiert wurde, wo es nichts mehr zu regieren gab. Erst am 23. Mai 1945 machten die West-Alliierten diesem Spuk ein Ende. Hitlers Epigonen mußten endgültig abtreten. "Hände hoch" und "Hosen
runter" brüllten britische Soldaten, als sie den provisorischen Regierungssitz stürmten. Etwa 300 "Kabinettsmitglieder" -Stabsoffiziere
und Verwaltungsbeamte- wurden vor laufenden Wochenschaukameras
abgeführt. Dönitz nahm es äußerlich gelassen hin.
Im Herbst 1945 begann der Prozeß in Nürnberg. Von Beginn an spielte Dönitz das Unschuldslamm. "Keiner dieser Anklagepunkte betrifft mich", kommentierte er kühl die Drei-Punkte-Anklage: