Unser Paradies ist hier
Korvettenkapitän a.D. Georg Lassen
Auszug aus einem Artikel aus dem Nachrichtenmagazin "DER SPIEGEL",
Heft 48/1998
Von Bruno Schrep
In einem Seniorenheim auf Mallorca leben betuchte Deutsche mit ungewöhnlichen
Biographien. Der U-Boot-Kommandant wohnt neben der berühmten jüdischen Fotografin,
der Regisseur vom "Wirtshaus im Spessart" neben der adligen Kriegerwitwe.
Über Deutschland ziehen an diesem Novembermorgen die Ausläufer
eines Tiefs aus Großbritannien. Heftiger Wind treibt die grauen Wolken
von Norden nach Süden, nachmittags beginnt es zu regnen. Die Meteorologen
haben Nachtfrost vorhergesagt. Die Residenz hoch über dem Meer, umgeben
von einem tropischen Garten, liegt an diesem Tag in Sonnenlicht getaucht.
Die Temperatur beträgt 22 Grad. Der Himmel ist tiefblau. Auf den Balkonen
blühen Bougainvilleen, neben den gepflegten Fußwegen wachsen
Pinien und Palmen. Hier, in der Wärme, leben Auswanderer besonderer
Art: Das Seniorenheim "Es Castellot" (Das Schlößchen) im Südwesten
Mallorcas ist ein Ruhesitz für Deutsche mit ungewöhnlicher Vergangenheit.
In den drei modernen Apartmenthäusern in Santa Ponca, erbaut im spanischen
Kolonialstil, wohnen nur Betagte, die sich im Alter Besseres leisten können
als andere: Sie müssen Kaltmieten zwischen 25oo und 4ooo Mark monatlich
bezahlen und notfalls, wenn sie krank oder hilflos werden, auch noch viel
mehr.
Nicht allen, die auf der Insel geblieben sind, fällt es leicht,
nur noch von fern zuzuschauen. Manchen im "Es Castellot" ist anzumerken,
daß sie früher Macht und Einfluß besaßen, darunter
leiden, nie mehr mitmischen zu können.
Einzelne haben vor fast 6o Jahren dazu beigetragen, daß sich
die halbe Welt vor deutschem Heldentum fürchtete.
Georg Lassen steht trotz seiner 83 Jahre kerzengerade auf seiner
Terrasse, deutet auf das Meer, auf den mit kleinen weißen Wolken
bedeckten Himmel. "Als Seemann", sagt der braungebrannte alte Herr, "brauche
ich Horizont." Lassen war U-Boot Kommandant. Die zehn Jahre bei der Kriegsmarine
bezeichnet er noch heute als "meine glücklichste Lebensphase". Alle
wichtigen Daten seiner Laufbahn hat er unter der Überschrift "Dienstzeit"
akkurat auf einem DIN-A4-Blatt aufgelistet. Er kennt sie auch auswendig.
18. Juni 1935: Als Matrose auf der "Gorch Fock" angemustert. 2. Oktober
1937: Die Bordausbildung auf dem Kreuzer "Leipzig" begonnen. 3. April 1939:
Lehrgang angetreten. Innerhalb eines Jahrzehnts bringt es Lassen vom Seeoffiziersanwärter
(5. April 1935) bis zum Korvettenkapitän (1. April 1945). Er wird hoch
dekoriert, erhält das Eiserne Kreuz, das Ritterkreuz
mit Eichenlaub, sogar, im August 1943, das U-Boot-Kriegsabzeichen mit Brillanten.
Das für ihn bedeutsamste Datum liegt mehr als 57 Jahre zurück:
Am 16. Oktober 1941 übernahm er das Kommando über das U-Boot
U-160. Den Tag feiert er bis heute alljährlich, manchmal mit wenigen
Vertrauten, mitunter ganz allein.
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Georg Lassen auf der Terrasse seines Seniorenapartments
Bildquelle: DER SPIEGEL 48/1998 |
Das Boot legte nach Lassens Aufzeichnungen in 327 Tagen genau 48377
Seemeilen zurück. Es manövrierte in der Karibik, durchpflügte
den Indischen Ozean, tauchte in der Nordsee. Die Bilanz hat der Kommandant
in einem Satz zusammengefaßt:
"U-160 versenkte 28 Schiffe mit 167601 Bruttoregistertonnen".
Den Rest seines Lebens, bislang 53 Jahre, bemüht sich der ehemalige
Offizier um Haltung. Er muß von vorn anfangen, wird Kaufmann, bringt
es bis zum Prokuristen einer großen Firma. Er übersteht einen
schweren Verkehrsunfall, bei dem er einen Arm ein büßt, lernt,
mit der Behinderung zu leben. Er verliert seine Frau, die nach 55 Jahre
Ehe stirbt, muß im Alter allein zurechtkommen. Lassen klagt nie,
tauscht sich auch nie mit anderen Heimbewohnern über Krankheiten aus.
Sein Tag hat feste Struktur: Morgens fährt er zum Schwimmen an den
Strand, nur wenn es regnet, wandert er statt dessen. Mittags schreibt er
Briefe, telefoniert nach Deutschland oder liest. Sein Lieblingsschriftsteller
ist Ernst Jünger. Das gerahmte Foto, das an der Wand seines Apartments
hängt, will er bis zu seinem Tod in Ehren halten. Es ist ein Porträt
von Großadmiral Karl Dönitz, versehen mit einer handschriftlichen
Widmung.
Vielen Dank an Horst Wendt, der mir diesen Artikel zuschickte.