Wie U-256 nach Hause kam

U-256 wurde im September 1942 von den Enländern als "versenkt" gemeldet; aber: "Not yet, Kameraden, not yet!" Hier ein Bericht über einen "grauen Wolf", der den Jägern ein Schnippchen schlagen konnte.
Aus "Die Flagge" (Offizielles Organ des Österreichischen Marineverbandes) Heft 2, 1999
Von Dipl.-Ing. Albert Nitzschke, Fregattenkapitän a.D.


Ein Traditionsverband der Royal Air Force richtete vor einiger Zeit die Bitte an den Deutschen Marinebund e.V., an der Aufklärung zweier deutscher Kriegsverluste im Jahre 1942 mitzuwirken. Sehr wahrscheinlich hatten damals die engl. Flugzeugbesatzungen nach Rückkehr von ihrem Einsatz Erfolgsmeldungen abgegeben, die jedoch nicht bestätigt wurden. Nun erhoffte man durch Mithilfe des DMB doch noch eine Bestätigung der seinerzeit gemeldeten Erfolge zu bekommen.

Das damalige Geschehen stellte sich aus englischer Sicht folgendermaßen dar:
  1. Am 2. Sept. 1942 erhielt eine Staffel zweimotoriger Armstrong-Whitley-Bomber den Auftrag, einen von Agenten gemeldeten Tanker im Hafen von La Rochelle zu zerstören, der für Japan beladen wurde. Bereits im ersten Anflug sei das Schiff vernichtend getroffen worden, so daß die Staffel zum Rückflug über die Biskaya abdrehen konnte. Frage: Wie hieß der Tanker und wurde er völlig zerstört?
  2. Beim Rückflug sichtete der am weitesten außen fliegende Bomber ein aufgetauchtes U-Boot und griff es mit Bomben an. Der Heckschütze sah das Boot sinken.
Bei diesem Angriff wurde jedoch ein Motor des Bombers durch das Abwehrfeuer der 2 cm-Flak des U-Bootes zerschossen, der daraufhin 100 Meilen vor der Küste notwassern mußte. Die Besatzung wurde von einem französischen Fischdampfer gerettet und kam in deutsche Gefangenschaft.

Frage: welches U-Boot wurde versenkt?
Meine Nachforschungen im Bundesarchiv/Miiitärarchiv in Freiburg/ Breisgau ergaben, daß für den 2. Sept. 1942 weder ein Schiffs - noch ein U-Bootsverlust verzeichnet war. Bekannt war lediglich ein Bombenangriff auf das im Hafen von La Rochelle für Japan ausgerüstete Troßschiff UCKERMARK (ex ALTMARK) und den Motortanker PASSAT (ex STORSTAD). Bei diesem Angriff erhielt die PASSAT einen Bombentreffer im Maschinenraum, während die UCKERMARK unbeschädigt blieb und eine Woche später nach Japan auslaufen konnte. Des weiteren war ein Flugzeugangriff auf U-256 in der Biskaya gemeldet. Das Boot wurde hierbei schwer beschädigt, konnte jedoch mit eigener Kraft den Hafen Lorient anlaufen.

Das Ergebnis meiner Nachforschungen teilte ich dem englischen Traditionsverband mit, der sich daraufhin in Schweigen hüllte, was eigentlich bei der Mitteilung einer so wichtigen Auskunft nicht üblich ist. Möglicherweise war man geschockt zu erfahren, daß sich die damals abgegebenen Erfolgsmeldungen (Tanker vernichtet und U-Boot versenkt) sich jetzt als Falschmeldungen herausgestellt haben.
Den wirklichen Ablauf des damaligen Geschehens konnte ich den von mir im Bundesarchiv eingesehenen Kriegstagebüchern entnehmen.
Im KTB des Mar.Grp.Kdo.West war ein Flugzeugangriff am 02.09.42 um 0710 Uhr auf das Troßschiff UCKERMARK und um 0715 Uhr auf den Tanker PASSAT - eine Prise des Hilfskreuzers PINGUIN - verzeichnet. Während PASSAT einen Bombentreffer im Maschinenraum erhielt, blieb die UCKERMARK unbeschädigt und lief eine Woche später nach Japan aus, wo sie Ende November in Jokohama eintraf.
Nach diesem erfolgreichen Blockadedurchbruch ereilte am 30. Nov. 1942 die UCKERMARK in diesem Hafen ihr Schicksal. Zunächst hatte die japanische Marine aus dem Schiff einige Tausend Tonnen Brennstoff übernommen, dann war der längsseits gegangene Hilfskreuzer THOR mit Proviant, Munition und Torpedos versorgt worden. Plötzlich erfolgte auf der UCKERMARK eine starke Explosion, der in schneller Folge weitere folgten. In kurzer Zeit waren dann das Troßschiff und der Hilfskreuzer vernichtet. Bezüglich des von den Engländern als versenkt gemeldeten U-Bootes U-256, konnte ich dem KTB U-256 folgendes entnehmen:
Im August 1942 hatte Kptlt. Loewe (Odo) mit seinem neuen VII C- Boot U-256 die erste Unternehmung im Nordatlantik angetreten. Er gehörte zur Gruppe "Lohs", die u.a. am Konvoi ON122 angesetzt war. Beim Versuch, die Außensicherung des Geleites zu durchbrechen, mußte das Boot in der Nacht des 25 Aug. 1942 vor zwei anlaufende Zerstörer wegtauchen. Bei der dann folgenden Wasserbombenjagd wurde das Boot zwar schwer angeschlagen. konnte jedoch entkommen. Auf ein entsprechendes Kurzsignal entschied der B.d.U.:
"Loewe Rückmarsch antreten ohne Ergänzung".
Am 2. September befand sich U-256 auf dem Rückmarsch im Quadrat BF 5490. Da das Boot tauchunklar war. Mußte die Biskaya über Wasser durchlaufen werden. Es herrschte leichter WSW in Stärke 1, gute Sicht, einzelne tiefhängende Wolken. Das 2 cm-MG war besetzt. Der Kommandant befand sich auf der Brücke. Um 0830 Uhr meldete der Ausguck ein aus der Sonne und einer tiefhängenden Wolke anfliegendes Flugzeug, Entfernung etwa 1000 m. Das Flugzeug kam von Backbord vorn in etwa 25 m Höhe und warf 2 oder 3 Bomben, die etwa 10 bis 20 m achteraus detonierten. Der MG-Schütze erzielte beim Vorbeiflug des Bombers eine Reihe 2 cm-Treffer. Das Flugzeug kam dann mit qualmendem Motor außer Sicht, mußte später notwassern, erreichte also den Einsatzhorst nicht mehr.

Was geschah aber mit dem U-Boot, als die Bomben detonierten?
Das Boot wurde angehoben und zur Seite geworfen. Hierbei sprangen das Kombüsen- und achtere Torpedoluk auf. während ein mächtiger Wasserschwall es eindeckte. Durch die offenen Luken strömte das Wasser ins Boot, das schnell achterlastig wurde und langsam wegsackte. Wie sah es aber im Boot aus?
Im Dieselraum lag der Treiböl-Hochbehälter auf dem Steuerbord Diesel. Bei beiden Motoren waren die Brennstoff und Kühlwasserleitungen abgerissen. Beide E-Maschinen brannten und die Batterien fingen an zu gasen.
In der Zentrale waren sämtliche Geräte und durch den fehlenden Strom auch FT und die Lenzpumpen ausgefallen.
In den Wohnräumen lagen sämtliche Einbauten, Spinde und Kojen aus den Haiterungen gerissen sich so gegenüber, daß man wie unter einem Dachgiebel über die wildzerstreuten Ausrüstungen und Bekleidungsstücke klettern mußte. Das Boot war offensichtlich gänzlich fahr- und tauchunklar. Lediglich der Luftverdichter hielt noch 180 atü. So ließ der Kommandant schweren Herzens das Boot zum Sprengen vorbereiten. Die Besatzung wurde mit Schwimmweste und Tauchretter zum Aussteigen an Oberdeck befohlen. Lediglich der LI, der Zentralemaat und Entlüftungsposten blieben noch im Boot. Einen kleinen Funken Hoffnung hatte aber der Kommandant noch. Er wußte, daß irgendwo in der Nähe U-438 (Franzius) sein mußte. So ließ er in größeren Abständen rote Sterne schießen und tatsächlich wurde gegen 1000 Uhr dieses Boot in etwa 10sm Entfernung gesichtet und herangeholt.

"U-Franzius" übernahm 30 Mann der Besatzung und setzte einen Funkspruch ab. Auf U-256 verblieb noch ein Restkommando, wo mittlerweile sämtliche MG's aufgestellt waren. Man war der Meinung, daß der Engländer noch weitere Flugzeuge auf das Boot ansetzen würde. Auf Grund des von "U-Franzius" abgesetzten Funkspruches erschienen gegen 1130 Uhr zwei Arado und übernahmen den Jagdschutz. Am späten Nachmittag kamen schließlich noch drei Minensuchboote und stellten eine Schleppverbindung her, die jedoch wegen der hohen Dünung im Laufe des Abends viermal brach.
Auf U-256 war man aber in der Zwischenzeit nicht untätig geblieben. Den hartnäckigen Versuchen des LI, des Obermaschinisten und zweier Maschinenmaate war es trotz des beißenden Chlorgases aus den zerstörten Batterien gelungen, eine Batterie mit 80 Volt und einen Diesel wieder klar zu bekommen. Den Diesel-Hochbehälter hatten sie wieder aufgeheizt und eine Brennstoffleitung geflickt. Lediglich die Kühlwasserleitung konnte nicht abgedichtet werden. So wurde versucht, das in die Bilge gelangende Wasser bei laufendem Diesel zu lenzen, was schließlich glückte und ab 2200 Uhr konnte sugar mit dcm Stb. Diesel langsam auf Große Fahrt gegangen werden.

Gegen Mittag des folgenden Tages lief,U-256 mit eigener Kraft in Lorient ein, wo die im Vorhafen wartenden Schlepper das Boot übernahmen. Es war aber auch höchste Zeit, denn wegen Abfall der Betriebsspannung konnte das Wasser in der Dieselbilge nicht mehr gelenzt werden. So war das Boot in den letzten Stunden nur durch Anblasen gehalten worden. Ein Problem war jetzt das Aufslippen in der Bunkeranlage Keroman. Das Boot durfte nicht vor der Aufslippe versinken, da sonst der einzige Zugangsweg zur verbunkerten Reparaturwerkstatt blockiert worden wäre. Zunächst mußte aber die Fahrt aus dem Boot genommen, also der Dieselmotor gestoppt werden. Damit fiel aber die E-Versorgung für Lenzpumpe und Verdichter aus und das Wasser konnte wieder einlaufen. Zeitraubend kam dann noch das Lösen der zwischen E-Maschine und Schwanzwelle befindlichen Kupplung, da infolge der Bombenwirkung eine Achsversetzung entstanden war, so daß sich die Kupplung nur schwer lösen ließ.


U-256 U-256 nach der Rückkehr von einer Feindfahrt

Bildquelle: "Die Flagge", Heft 2, 1999 (Archiv Nitzschke)



Wenn auch das Boot inzwischen tiefer gesackt war, so hatten es die beiden Schlepper doch so gut bugsiert, daß es richtig in den Pallen zu liegen kam und sofort aufgeslippt werden konnte. Jetzt endlich fielen allen Beteiligten die Steine vom Herzen, dies vor allem, als der Druckkörper im Bereich der Akkubilgen angebohrt und die Akkusäure nach außen abgelassen werden konnte.
Die Kriegsmarinewerft Lorient war jedoch nur auf Boote des Types IXC spezialisiert. Deshalb wurde -wie der damalige Flo-lng. der 10.U-Flotille, KKpt.(lng) Otto Unger mir mitteilte- nur eine Notreparatur zur Herstellung der sicheren Uberwasserfahrt des Bootes ausgeführt.
Zur endgültigen Instandsetzung ging U-256 einige Zeit später nach Brest, wo zunächst die Außerdienststellung erfolgte. Im August 1943 wurde das Boot als Flakfalle eingesetzt und nach einer Unternehmung im Dezember 1943 wieder zum normalen Kampfboot zurückgebaut, kam jedoch nicht mehr zum Einsatz. Es wurde im September 1944 nach der Invasion In Frankreich unter dem Kommando von KKapt. Lehmann-Willenbrock nach Norwegen verlegt. Infolge von Schäden. die nach einer Havarie auftraten, stellte U-256 am 23.10. 1944 in Bergen endgültig außer Dienst. Nach Kriegsende fiel es als Kriegsbeute an England, das aber das Boot den Norwegern überließ.

So endete die Geschichte des von den Engländern am 2. Sept. 1942 als versenkt gemeldeten U-256, das jedoch nach seiner Bombardierung durch das Können, der Tüchtigheit und der Hartnäckigkeit des Maschinenpersonals unter ihrem Leitenden Ingenieur soweit fahrbar gemacht wurde, daß es einen Tag später den sicheren Hafen Lorient erreichen konnte.


Vielen Dank an E-Mail senden an: Erwin Sieche, der mir diesen Artikel zuschickte.