Schwierige Erbschaft im Atlantik: Bericht von Birgit Schröder über Deutsche U-Boot-Wracks vor der Küste der USA. Aus "Deutsche Schiffahrt", Ausgabe 2/1998, Information des Fördervereins Deutsches Schiffahrtsmuseum e.V.
Am 11. Dezember 1941 erklärte Hitler den Vereinigten Staaten den Krieg. Der Zweite Weltkrieg trat in seine entscheidende
Phase ein. Um die für Großbritannien lebenswichtigen Seeverbindungen über den Atlantik zu stören, dehnten die deutschen
U-Boote seit Mitte Januar 1942 ihre Angriffe auch auf den westlichen Atlantik aus. Dieser Beginn eines bereits länger
existierenden Planes, die alliierten Versorgungslinien vor der Küste der USA durch die Torpedierung von Handelsschiffen in
ständige Gefahr zu bringen, wurde von der deutschen Marineführung mit dem Namen "Operation Paukenschlag" versehen.
Beteiligt waren zunächst 5 Boote, die allein bis zum 6. Februar 1942 25 Handelsschiffe unterschiedlicher Größe versenkten. In
den folgenden Monaten erfolgte eine weitere Angriffsphase. In deren Verlauf operierte beispielsweise U-123 unbehelligt in
Sichtweise der New Yorker Freiheitsstatue und schließlich vor der Ostküste Floridas. Die amerikanischen Stellen reagierten
trotz massiver britischer Warnungen zunächst hilflos auf diese Angriffe. Dann jedoch brachten vor allem sprunghaft verbesserte
technische Hilfsmittel auf alliierter Seite die Wende. Entscheidend waren unter anderem der "High Frequency Direction Finder"
(das sogenannte "Huff-Duff"-Gerät zur Ortung Peilzeichen sendender Boote), das "Asdic" zur Lokalisierung getaucht
fahrender Boote, sowie der besonders schwerwiegende Einbruch in den Verschlüsselungscode "M". Dadurch erhöhten sich
parallel zum Rückgang der versenkten alliierten Handelsschiffe die Verluste der eingesetzten deutschen Boote bis Ende des
Zweiten Weltkrieges drastisch.
Die Anzahl der Opfer des U-Boot-Krieges insgesamt auf alliierter Seite ist nur annähernd bekannt, doch allein die Zahl der
registrierten britischen und US-amerikanischen Toten beträgt zwischen 30.000 und 35.000 . Verluste von Männern anderer
Nationalitäten, die ebenfalls einen großen Anteil von Schiffsbesatzungen stellten, wurde nie genau gezählt, gehen aber ebenfalls
in die Tausende. Von den insgesamt 863 zum Einsatz gebrachten deutschen U-Booten kehrte bis Ende des Krieges 754 nicht
mehr zurück, wobei mehr als 27.000 Mann den Tod fanden.
Dementsprechend befinden sich viele der zum Sarg gewordenen Boote heute noch auch vor der Küste der Vereinigten Staaten
und Kanadas. Die genaue Zahl läßt sich nicht mehr exakt bestimmen, jedoch wurden im weiteren Küstengebiet zwischen
Neufundland und dem Golf von Mexico 21 Boote mit Sicherheit als versenkt oder "verlorengegangen" registriert. Die meisten
ihrer Besatzungen fanden damit am Ende die letzte Ruhe aller im Meer Umgekommenen - anonyme Gräber in der Tiefe, die
aber durch die Abgründe der See immerhin vor allen menschlichen Störungen geschützt sind. In einigen Fällen sanken Boote
allerdings in Gebieten mit geringer Tiefe, die auch von Tauchern mit normaler Preßluft- und Sporttaucherausrüstung zu
erreichen sind. Daß sich daraus ethische und - für die USA - auch praktische Probleme ergeben, liegt auf der Hand:
U-85 wurde im Juni 1941 in Dienst gestellt und 10 Monate später, am 14. April 1942, von
USS "Roper" 17 Meilen nordöstlich von Oregon Inlet/North Carolina versenkt. Von den 44 Männern an Bord wurden 31 am
folgenden Morgen tot auf dem Wasser treibend gesichtet und zum Teil geborgen. Der Kommandant und 12 weitere
Besatzungsmitglieder blieben verschollen. Im Juni 1996 wurde das Wrack , das in etwas über 30 Meter Tiefe liegt, von einer
Tauchergruppe heimgesucht, die offensichtlich mit dem Ziel, spektakuläre Funde zu machen, Geschirr und andere Gegenstände
per Airlift aus dem Boot entfernte. Die Taucher behaupteten später, keine Skelettreste beobachtet oder gar in Mitleidenschaft
gezogen zu haben. In Anbetracht der Wirkungsweise auch kleinerer Airlifts, die in etwa wie ein überdimensionierter
Unterwasserstaubsauger funktionieren, der stark eingeschränkten Sicht und angesichts fehlender Besatzungsmitglieder, erscheint
diese Aussage aber als äußerst fragwürdig.
U-352 befindet sich heute 26 Meilen von Beaufort Inlet, ebenfalls vor der Küste von North Carolina, in etwa 36 m
Wassertiefe. Das Boot wurde am 9. Mai 1942 vom US-Kutter "Icarus" versenkt, der anschließend 31 Überlebende an Bord
nahm. 13 Mann gingen mit dem Boot unter. Das Wrack wurde Mitte der siebziger Jahre relokalisiert und in der Folgezeit
beliebtes Ausflugsziel von Hobbytauchern und kommerziell ausgerichteten Plünderern. Was die dort noch liegenden Reste der
Besatzung betrifft, hat es sich offensichtlich eingebürgert, die aufgestöberten Skelettteile zu sammeln und sie im Maschinenraum
auf einen Haufen zu türmen. Zum Politikum wurde das Boot, nachdem Angehörige eines Tauchshops einen menschlichen
Schädel und zwei Langknochen als "Jolly Roger"-Emblem zur Dekoration ihres Geschäftes mißbraucht hatten. Ein US-Senator
erklärte die Angelegenheit empört zur "nationalen Schande" und erreichte schließlich in Zusammenarbeit mit der deutschen
Regierung, daß das Boot als Kriegsgrab deklariert wurde. In den Jahren 1979 und 1980 verbrachten Taucher der US-Navy
viele Arbeitsstunden mit der Sicherung der Bug- und Heck-Torpedoräume und der Sicherung der Sprengköpfe. Außerdem
wurden Stahlplatten über den Mündungsklappen angebracht, die aber mittlerweile widerrechtlich teilweise oder ganz entfernt
worden sind. Besonders problematisch ist das im Fall des Bugtorpedoraums, der noch potentiell gefährliche Torpedos enthält.
Eine private Initiative, ausgehend von Ed Caram in Jacksonville, versuchte im Oktober 1996 das Wrack in die nationale Liste
Historischer Stätten aufnehmen zu lassen. Ein konkretes Ergebnis dieser Bemühungen ist bislang nicht bekannt.
Ein amerikanischer Zerstörer fährt einen Wasserbombenangriff auf U-853.
Die Aufnahme entstand vermutlich bei der Versenkung von U 853 und wurde
von einem Luftschiff aus aufgenommen.
Bildquelle: National Archives, Washington D.C.
U-853 sank am 6. Mai 1945 vor Rhode Island, nach gemeinsamen Angriff der USS "Atherton", der Küstenwache-Fregatte
"Moberly" und zweier Navy-Luftschiffe (den Blimps K-16 und K-58). Damit ist es das letzte bekannte deutsche U-Boot, das
im Zweiten Weltkrieg versenkt wurde, wobei die gesamte Besatzung von 48 Mann im Boot den Tod fand. Geborgen wurde
kurz nach dem Sinken nur eine einzige Leiche, die Marinetaucher aus dem Turm an die Oberfläche brachten, sowie 1960 ein
Skelett, das nach Intervention der deutschen Regierung auf dem Marinefriedhof in Newport bestattet wurde. Das Wrack liegt
in etwa 40 Meter Tiefe, sieben Meilen östlich von Block Island und wurde 1953 von Sporttauchern wiederentdeckt.
Kurz darauf wurden beide Schraubenwellen ausgebaut, die sich heute in einem Gasthaus bei Castle Hill befinden. Weitere
Gegenstände, die vom oder aus dem Boot entfernt wurden, sind u.a. das Periskop, Handfeuerwaffen, Meßgeräte und
persönliches Eigentum der Mannschaft. Die Rechtslage ist kompliziert, da die Historische Gesellschaft von Newport, die eine
solide Adresse für derartige Fälle wäre, aus verständlichen Gründen keine Gegenstände aus illegal erworbenen Fundkomplexen
erwerben darf. Das Boot selbst ist derzeit durch den kaum kontrollierbaren touristischen Ansturm unter bizarren Bedingungen
anzutreffen, da in der Hochsaison bis zu 10 Ausflüglerboote mit Hobbytauchern über der Stelle warten. Um Abhilfe zu schaffen,
wurde bereits überlegt, einen extremen Weg zu beschreiten: nämlich den Schiffskörper von Archäologen methodisch korrekt
räumen zu lassen, alle entfernten Gegenstände in ein Museum zu verbringen und die Skelettreste, soweit irgend möglich, zu
bergen und an Land beizusetzen.
Die Besatzung der USS "Moberly" beobachtet die Wirkung der Wasserbombenangriffe auf U-853
Bildquelle: Archiv des Naval Historical Center/U.S. Navy, Washington D.C.
Ein weiteres U-Boot, wohl U-869, wurde am 2. September 1991 von Tauchern 60 Meilen östlich von Barnegat Inlet/New
Jersey in mehr als 70 Meter Wassertiefe wiederentdeckt. Die aktuelle Identifikation des Bootes als U-869 ist jedoch unsicher.
Unabhängig davon , welches U-Boot vor New Jersey lokalisiert wurde, steht immerhin außer Zweifel, daß es sich um ein
deutsches Boot handelt. Die Gefährdung durch Eindringlinge ist für das in den USA zunächst als "U-who" bezeichnete Wrack
nicht so gravierend wie für die drei vorher beschriebenen Boote, da die Wassertiefe von mehr als 70 Meter für
Gelegenheitstaucher ein Hindernis ist. Versuche werden dennoch immer wieder gemacht, die mittlerweile in wenigstens drei
Fällen tödlich endeten. Dazu kommen wiederum die rein kommerziell motivierten Plünderer, die technisch und personell meist
wesentlich besser besser für Arbeiten auch in größeren Tiefen ausgerüstet sind als Nervenkitzel suchende Urlauber.
Die oben beschriebene Situation steht stellvertretend für eine hohe Dunkelziffer auch in anderen Seegebieten, wie etwa der
europäischen Atlantikküste und dem Mittelmeer. Grund dafür ist, daß ernsthafte Versuche, sich effektiv mit dem Problem
auseinanderzusetzen, bislang auf die USA beschränkt sind. U-Boote des Zweiten Weltkrieges üben leider, noch mehr als
andere Schiffswracks ohnehin, auf viele Menschen einen fatalen Reiz aus. Nach Berichten des Naval Historical Center in
Washington D.C., das der US-Navy zugeordnet ist, reicht das Spektrum der dort registrierten Eindringliche von schlichtweg
naiven Sporttauchern über selbsternannte "Historiker" bis zu Berufstauchern kommerzieller Bergungsfirmen. Gemeinsam ist
dabei allen, daß Überreste von Toten ihren Forschungsdrang keineswegs hemmen: Für Urlauber auf der Suche nach
Nervenkitzel erhöhen sie meist nur den erwünschten Geisterbahneffekt, für die beiden anderen Gruppen sind herumliegende
Skelettreste bei Erreichung ihrer Ziele unwichtig. Private Abnehmer für U-Boot-"Souvenirs" finden sich leider in großer Zahl auf
Militaria-Messen und in entsprechenden Auktionen, sowohl in den USA als auch bei uns in Deutschland.
Kaum jemand macht sich dabei klar, daß das Eindringen in ein U-Boot-Wrack rechtlich ein krimineller Akt darstellt.
U-Boote mit toten Besatzungsmitgliedern an Bord gelten als Seekriegsgräber, die entsprechend der Genfer Konvention unter
besonderen Schutz gestellt sind. Kriegsschiffe befinden sich auch nach Verlust im Besitz derjenigen Nation, unter deren Flagge
sie gesunken sind. Das gilt selbst dann, wenn das Wrack im Hoheitsgebiet eines anderen Staates zu liegen kommt. Theoretisch
ist im Fall deutscher Boote also die Bundesrepublik als Rechtsnachfolgerin des Deutschen Reiches Besitzerin der Wracks und
für deren Schutz zuständig. Praktisch vereitelt aber schon die Entfernung sinnvolle Maßnahmen, so daß sich in erster Stelle nicht
bundesdeutsche Stellen mit dem Problem konfrontiert sehen, sondern Stellen vor Ort, in diesem Fall die US-Navy. Die
praktische Umsetzung der Genfer Konvention wirft daher große Probleme auf. Denkbar wären zum Beispiel rechtliche Schritte
wie eine förmliche Eigentumsübertragung der Wracks von der Bundesrepublik auf die Vereinigten Staaten, die wenigstens ein
strafrechtliches Eingreifen vor Ort erleichtren würde. Patentlösungen wird es auch hier keine geben können, doch die
Erarbeitung klarer juristischer Richtlinien wäre ein großer Schritt und könnte auch für andere Länder Vorbild sein. Obwohl die
U-Boot-Wracks für die USA ein problematisches Erbe darstellen, besteht von Seiten der US-Navy die grundsätzliche
Bereitschaft, mit praktischer Hilfe Sicherungs- und Schutzmaßnahmen zu unterstützen. Die dazu notwendigen finanziellen Mittel
stehen in den USA jedoch nicht zur Verfügung, was angesichts der Rechtslage und der historischen Vorbedingungen mehr als
verständlich ist. Geldmittel für notwenige Maßnahmen müßten also von Deutschland zur Verfügung gestellt werden, was jedoch
derzeit ebenfalls unrealistisch erscheint. So hat auch die zentrale Anlaufstelle bei derartigen Belangen, der Volksbund Deutsche
Kriegsgräberfürsorge, keine Möglichkeit, im Falle gesunkener deutscher Kriegsschiffe tätig zu werden.
Wie auch immer sich die Situation weiterentwickelt, sollte nicht vergessen werden, daß die namenlosen Skelettreste einmal
junge Männer waren (die jüngsten nicht einmal 17, der Durchschnitt in der Endphase des U-Boot-Krieges etwa 22 Jahre alt),
die in deutschem Namen auf See geschickt wurden und dort nach elendem Sterben umkamen. Lothar-Günther Buchheim
schreibt in seinem Buch über die U-Boot-Fahrer, daß sich im U-Boot-Krieg zum Wahnwitz des Krieges die Grausamkeit der
See gesellt, die von ihren Opfern nicht mal die geringste Spur hinterläßt. In diesem Licht erscheint es weder naiv noch sinnlos,
sich Gedanken über einen achtungsvollen Umgang mit den wenigen real verbliebenen Toten des U-Boot-Krieges zu machen.
Sie haben es mit Sicherheit nicht verdient, ein zweites Mal zum Opfer zu werden - diesmal von touristischer Sensationsgier und
Militariasammlern. Die Autorin dankt dem Naval Historcal Center in Washington für die Unterstützung.
Vielen Dank an Harry C. Redner, der mir diesen Artikel zuschickte.