An strahlenden Tagen spazieren die Kieler Bürger gern über ihre
Promenade zum Bad "Bellevue". Der schöne Blick, den der Name dieses
Teils der Förde verspricht, fällt zwischen den weißen Dreiecken der
Wochenendsegler hindurch aufs andere Ufer. Links begrenzt ihn das
hochaufragende Laboer Marine-Ehrenmal, rechts, in der Mündung der
Schwentine, stören zwei Turmstümpfe aus Beton die Idylle; neben
ihnen hängt schief und halb untergetaucht ein Quader mit
quadratischen schwarzen Fensterlöchern.
Seit Jahrzehnten ist die Ruine des U-Boot-Bunkers "Kilian" den
meisten Einheimischen ein Dorn im Auge. Am liebsten wäre ihnen, das
Ding versänke auf ewig. Vielleicht wünscht sich das auch
Ministerpräsidentin Heide Simonis, 53, wenn sie aus dem Fenster
ihres Landeshauses schaut. Denn dann wäre sie eine Sorge los: die
für diesen Montag geplante Entscheidung, ob die Bunkerruine bleiben
soll oder dem Ausbau des Hafens weichen.
Bisher trotzte der Bunker allen Versuchen, ihn zum Verschwinden
zu bringen. Bei der ersten Sprengung der britischen
Militärregierung im Jahre 1946 zerbarst die Anlage, im Wasser
blieben die beiden Pfeilerblöcke und der Klotz zurück, auf dem Land
eine bizarre Betonlandschaft. "Made in Germany" pinselten danach
Werftarbeiter auf den Beton.
1959 versuchten sich die Kieler selbst am Wegsprengen des
Souvenirs; ohne Erfolg. Seit damals hat die Ruine ihre Gestalt
nicht mehr verändert, abgesehen von den Pflanzen, die sich auf den
kalkhaltigen Bruchstellen ansiedelten. Die Bürger gewöhnten sich an
den Anblick, notgedrungen. Aber als plötzlich Kieler Politiker und
Künstler dem Trümmerhaufen einen ästhetischen und moralischen Wert
unterschoben, brach die Wunde "Kilian" wieder auf.
Ein Kriegsdenkmal von außerordentlicher Kraft wollte
Stadtbaurat Otto Flagge in den Betonbrocken erkennen. Er überzeugte
den Landeskonservator Johannes Habich, 62, und der stellte den
Bunker 1988 unter Denkmalschutz. Die Klage der Stadt wurde
abgewiesen. Der Bunker solle bleiben, entschied das Gericht, denn
"geschichtliche Ereignisse hören auf, Geschichte zu sein, wenn sich
keiner mehr an sie erinnert".
Genau das, endlich nicht mehr erinnert zu werden, wäre vielen
Bürgern der Stadt Kiel sehr willkommen. Eine Flut von empörten
Leserbriefen erreichte die kieler nachrichten "Schuldeinflößung
durch Fingerzeige des schmerzlich verlorenen Krieges soll uns nicht
den freien Blick über die Förde verdunkeln" - dieser Protest eines
Lesers sprach zwar vielen Kielern aus dem Herzen, machte es aber
gleichzeitig den Befürwortern eines Bunker-Mahnmals leichter, für
ihre Sache zu streiten: Schon lange bevor im Jahr 1942
Zwangsarbeiter den U-Boot-Bunker bauten, war das Ostufer der Förde
eine Memoriallandschaft der Marine-Denkmäler. Von einem "freien"
Blick kann keine Rede sein.
Wer sich Kiel auf dem Schiffsweg nähert, den empfängt die
Erinnerung an einen bedeutenden Reichskriegshafen. Das Laboer
Ehrenmal wurde in den zwanziger Jahren gebaut und 1936 von Hitler
eingeweiht. In seiner "Gedenkhalle" wird nach wie vor der Heldentod
für Volk und Vaterland geehrt.
Ein paar Kilometer weiter, in Möltenort, reckt ein ebenfalls
von den Nazis installierter Bronzeadler auf einer Stele seine
Schwingen gen Ostsee, sein Wille, die Feinde Deutschlands auf den
Meeresgrund zu schicken, scheint ungebrochen.
Die Bunkerruine bezeugt das Ende des Reichskriegshafens Kiel.
Ein "Ready made" der Geschichte, schwärmt Konservator Habich, das
ein Künstler "kaum hätte besser machen können".
Im Unterschied zu den beiden Seekriegsdenkmälern steht die
Ruine für den Zusammenbruch. Wer den Bunker weghaben will,
argumentieren seine Verteidiger, muß auch dafür plädieren, das
Laboer Ehrenmal abzutragen und den Möltenorter Adler
einzuschmelzen.
Dennoch droht der Ruine der Abriß. Denn die Hafenwirtschaft hat
an diesem Ort etwas in Aussicht gestellt, das der Idee des Mahnmals
starke Konkurrenz macht: Arbeitsplätze. Auf dem Gelände der Ruine
sollen Kaianlagen entstehen. Die Firma Cellpap will hier zwei neue
Lagerhallen bauen. Natürlich müsse abgewogen werden, räumt
Konservator Habich ein, aber "ein in der Bundesrepublik
einzigartiges Denkmal" einem Umschlagsbetrieb für Papier zu opfern,
hält er "nicht unbedingt für vernünftig". Zumal auch ein Museum,
das in der Bunkerwerkstatt eingerichtet werden könnte,
Arbeitsplätze schaffe.
Das überraschendste Argument für die Erhaltung der
Trümmerlandschaft stammt von dem Kieler Chemiker Mins Minssen. In
einem Essay beschreibt der Molekularforscher seinen Besuch auf dem
Bunkergelände. Er ist sich ganz sicher, zwischen den Betonpfeilern
das glucksende Geräusch von Elfen gehört zu haben. Gesehen habe er
sie leider nicht, erzählt Minssen, aber vielleicht gelinge ihm das
ja noch, "bevor das Elfenvolk vertrieben und die Welt ein einziger
Arbeitsplatz sein wird und sonst gar nichts".