Das alltägliche Leben an Bord der Deutschen WK-II U-Boote
Ich zwänge mich durch die graue Stahlröhre U-995 in Laboe... überall Handräder, Leitungen, Hebel, "Tannenbäume", Messinstrumente, Kabel... dauernd muß ich mich ducken, um mir nicht den Kopf an irgendwelchen überhängenden Teilen zu stoßen. Gebückt krieche ich durch die engen Kugelschotts und den anderen Besuchern geht es nicht besser. Die Luft ist stickig, obwohl beide Besuchertüren von U-995 offen sind und nur etwa 30 Personen das Boot besichtigen.
Weiter geht´s. Der Zugang zum Turm und damit zur Kommandozentrale mit dem TDC (Torpedovorhalterechner) und dem Angriffsehrohr ist leider nicht erlaubt. Ganz vorne im Boot ist der Bug-Torpedoraum und die Kojen der Besatzungen. Es ist eng und wird immer enger. Nach einer halben Stunde verlasse ich das Boot wieder. Einige Besucher vor mir atmen entspannt durch und blicken erlöst zum Himmel... und dabei war noch viel Platz im Boot, die Luft hervorragend, beide Besuchertüren offen. Trotzdem warnen Schilder vor dem Boot Herzkranke, Alte und Menschen, die unter Platzangst leiden, U-995 zu betreten!
Und jetzt stelle ich mir das ganze Boot auf 200 Meter Tiefe vor... Jeder mögliche und unmögliche Platz ist mit Vorräten und Ersatzteilen verstopft. Die Lampen brennen auf Rotlicht. Die letzten Abgase des abgeschalteten Diesels ziehen durch die schweißgetränkte Luft. Der Druckkörper knackt & knirscht... Heute unvorstellbar, wie es 40 Männer monatelang in dieser "Stinkröhre" ausgehalten haben... und uns läßt eine halbe Besucherstunde schon erlöst zum Himmel blicken...?!
Eckart Wetzel beschreibt in seinem Buch "U-995" das Bordleben besser, als ich es je könnte. Hier ein Auschnitt:
...Sie konnten (im U-Boot leben)! In jeder sich ergebenden Gefeehtssituation, auch wenn sie in der "Bedrullje" saßen, bedienten die Männer unzählige Hebelgestänge und Instrumente, betätigten sie die Ventile, peilten sie Treibstofftanks, bastelten sie an den Torpedos, beobachteten sie Manometer und Motoren, hingen sie an ihren Funk- und Horchgeräten. Gemeinsam teilten sie ihr Schicksalslos, im Guten und im Bösen.
Eine durch monatelange Übung erreichte Präzision war vonnöten, um ein U-Boot fahren zu können. Auf jede Hand an Bord mußte Verlaß sein. Jedes noch so kleine Rädchen in diesem Uhrwerk durfte nicht seinen Dienst versagen. Das Leben an Bord hing von Kleinigkeiten ab. Eine disziplinierte eingeschworene Gemeinschaft war erforderlich, die es auf sich nehmen konnte, mit so einem empfindsamen Gefährt, wie es das U-Boot darstellt, bis zum Urgrund des Grauens vorzudringen.
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Bild: Eine Vorstellung von der Enge an Bord eines U-Bootes gibt dieses Bild: Die Freiwache beim Kartenspiel.
Bildquelle: Buch "60 Jahre deutsche U-Boote 1906-1966" von Bodo Herzog. J.F. Lehmanns Verlag München |
"U-Boot-Brot ist knochenhart". Nirgendwo anders als in dieser maßlosen Belastung konnte man den Nebenmann so gut kennenlernen, wie hier, wo die Lebensweise jedem das Letztmögliche abverlangte. Die Enge war noch größer, als das Museumsboot vor Laboe heute erkennen Iäßt. Jeder Kubikzentimeter Raum wurde ausgenützt. In jeder Nische hingen Feuerlöscher, Tauchretter, Reservesicherungen, Kalipatronen. Unter der Decke schaukelte das Konservenbrot in aufgespannten Hängematten. In allen Ecken war der Proviant verstaut, Hartwürste hingen zwischen den Rohren. Frischfleisch hielt in der Regel etwa zehn Tage, am elften Tag nach dem Auslaufen gab es den obligatorischen Sauerbraten, den der Smut auf dem Elektroherd seiner Miniatur-Kombüse für alle zauberte. Manchmal mußten die "Seelords" wohl oder übel tagelang Rotwurst verkonsumieren, wenn die Konserven schlecht gepackt waren, so daß man nur an die zuoberst liegenden herankam. Doch am Seemannssonntag, an jedem Donnerstag, bereitete der Smut traditionsgemäß besonders erlesene Gaumenfreuden für die Männer her.
Bild: Musste ein U-Boot bei schwerer See über Wasser bleiben um die höhere Marschgeschwindigkeit zu nutzen, so wurde das Essen vielfach ein akrobatischer Akt.
Bildquelle: Buch "60 Jahre deutsche U-Boote 1906-1966" von Bodo Herzog. J.F. Lehmanns Verlag München |
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Zu Beginn jeder Feindfahrt lagerten im Bugraum die Reservetorpedos, bis zu sechs Stück, und beengten zudem den Freiraum, so daß nicht einmal ein Tisch aufgestellt werden konnte. Hier in dieser winzigen Höhlenkammer hausten, speisten, schliefen und gammelten dichtgedrängt die Mannschaftsdienstgrade. Außerdem mußten die "Aale", wie die Torpedos im Marinejargon genannt wurden, regelmäßig, das hieß, alle zwei bis drei Tage "geregelt" werden. Dann wurden mit schweren Ketten- und Flaschenzügen die im Bugraum lagernden Torpedos umgefiert und die anderen nach und nach aus den Torpedostoßrohren heraus- und nach erfolgter Wartung wieder hineingeschoben. Bei Seegang eine mordsmäßige Arbeit.
Die Spinde hatten kaum größere Abmessungen als Zigarrenkisten. Hier wurden Wäsche, Troier und das "Lederpäckchen" verstaut. Lederpäckchen nannte man das Leder- oder Ölzeug, weil es ungebraucht, zu kleinen Päckchen zusammengefaltet, gerade noch im schmalen Spind verstaut werden konnte. Dabei mußte man höllisch achtgeben, daß das Bild der Braut, das sorgsam gehütete Kleinod, nicht geknickt wurde.
Bild: Immer wieder mussten die tonnenschweren "Aale" aus den Rohren gezogen und "geregelt" werden. Dabei wurden die Einstellungen überprüft und bei G7a-Torpedos der Druckluftbehälter neu aufgefüllt. Besonders das letzte Stück des Torpedos wieder ins Rohr zu bringen kostete harte Knochenarbeit.
Bildquelle: Buch "60 Jahre deutsche U-Boote 1906-1966" von Bodo Herzog. J.F. Lehmanns Verlag München |
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Eine Dusche gab es an Bord nicht. Während der langen Einsatzfahrten mußten alle Mann mit einem Spucknapf von Waschbecken auskommen. Die winzigen Kojen wurden nie kalt. Nicht jedes Besatzungsmitglied besaß eigene Federn. Die Männer waren zu Wachen eingeteilt. Der Wachgänger gab dem Freiwächter gewissermaßen die Decke in die Hand. Und dann waren da die Pumptoiletten, eine vorn neben der Oberfeldwebel-Messe und das Reserve-WC bei der Kombüse, das grundsätzlich mit allen möglichen Verpflegungsrationen vollgestopft war. Das einzige verbleibende Klosett war eigentlich immer besetzt. Schwierig war es besonders für das Maschinenpersonal, das im Achterschiff ausharren mußte, den Moment abzupassen, wenn das stille Örtchen mal frei wurde. Mehrmals riß der eine oder andere das Lärmschott auf und rief verzweifelt nach vorn: "Frage Rot?" Gemeint war das Lämpchen, das vor der Toilettentür anzeigte, ob sie gerade besetzt oder frei war. Eine komplizierte Vorrichtung mit inneren und äußeren Absperrschiebern ermöglichte es, auch in größerer Wassertiefe, die ,,Kupferbolzen", wie sie spaßeshalber genannt wurden, nach außenbords zu pumpen. Dazu bedurfte es einer gewissen Sachkenntnis. Aus diesem Grunde wurde von jedem Boot ein Mann zu einem speziellen Einweisungslehrgang abkommandiert. Dieser gab dann seine Kenntnisse an die anderen Besatzungsmitglieder weiter. Leider passierte es in einem Fall trotzdem, daß, ein Boot durch falsche Bedienung Wassereinbruch erlitt und verloren ging. Kluge Kommandanten hängten in dem bewußten Ortchen sogar ihre Befehle oder die Bordzeitung auf. So hatte jeder, sofern er diesen Fingerhut voll Freiraum erobert hatte und nicht bereits schon wieder aufgeregte Hände von außen am Türgriff rüttelten, Muße über das Neueste nachzudenken. Im Kriegsfall aber hieß es, die Hinterbacken zusammenzukneifen und die Notdurft zu ignorieren - Hosenbund dichthalten fürs Vaterland.
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Bild: Trotz wochenlangen "Gammel": Ständig musste die Besatzung in Alarmbereitschaft bleiben. Hier beim Alarmtauchen. Die Schnellentlüftungen werden gezogen, die Tauchtangs füllen sich mit Wasser, innerhalb von 30-35 Sekunden nach dem Alarm muss das Boot unter Wasser sein!
Bildquelle: Buch "60 Jahre deutsche U-Boote 1906-1966" von Bodo Herzog. J.F. Lehmanns Verlag München |
Grundsätzlich bedeutete es auf einem U-Boot, die persönlichen Bedürfnisse einzuschränken, Abneigungen zu überwinden und sich körperlich, geistig und seelisch den engen Verhältnissen und dem Pulsschlag dieses feinnervigen Gebildes anzupassen.
Hinzu kam, daß im Bootsinneren Rauchverbot bestand. Die Luft ist der kostbarste Schatz im U-Boot. Andererseits entwickelten die Batterien, die sich unter den Flurplatten befanden, beim Ladebetrieb Wasserstoffgase, d.h. wenn die Dieselgeneratoren Strom, - in der Bordsprache "Kujambels" genannt, in die Akkus pumpten. Der geringste Funke würde genügen, das Knallgas, sofern es sich gebildet hat, zur Explosion zu bringen. Darüber hinaus war die Luft unter Deck ständig mit Treibstoffdunst, ranzigen Motorenölaerosolen und Küchendünsten geschwängert, dem typischen U-Boot-Mief, dem Formaldehydgeruch, der allem anhaftete, auch den Männern, wenn sie auf Landgang waren. Sie nannten es auch Parfüm "Kolibri "-Marke U-Boot, stark, aber lieblich duftend.
Über 40 Männer, davon vier Offiziere und vier Portepee-Träger, zehn Unteroffiziere und 24 bis 27 Mannschaften, teilten sich den engen Raum im einem Boot, gleichviel verschiedene Charaktere, Naturelle, Geschmäcker, aus allen Regionen Deutschlands zusammengewürfelt. Oftmals drang die unverfälschte ostpreußische Mundart durch. oder bayerische und schwabische Dialekte, oder die Berliner Schnauze machte sich bemerkbar, das Westfälische, das unnachahmliche breite Sächsische ... Es waren Holsteiner dabei, Niedersachsen, Hessen, Pommern, Danziger, Saarländer, Österreicher... Es gab Bärennaturen in ihren Reihen, die auch im größten Schlachtenlärm nicht in ihren Grundfesten zu erschüttern waren, und Sensible, in deren Hirnen sich ahnungsvolle Gedanken wälzten. Alle Räume sind offen im U-Boot, fast kein "Rees" blieb unbelauscht. Alle waren aufeinander angewiesen, mußten in der "Stinkröhre", wie sie von ihren Insassen oftmals freimütig geschimpft wurde, viele Wochen lang zusammen auskommen.